"Situation war äußerst skurril": Hotel setzt Gruppe von Menschen mit Behinderung vor die Tür (2024)

FTI-Pleite "Situation war äußerst skurril": Hotel setzt Gruppe von Menschen mit Behinderung vor die Tür

"Situation war äußerst skurril": Hotel setzt Gruppe von Menschen mit Behinderung vor die Tür (1)

Eine Rostocker Reisegruppe mit 22 Menschen, teilweise mit Behinderung, wurde von einem Hotel in der Türkei vor die Tür gesetzt – weil der insolvente Reiseveranstalter FTI nicht gezahlt hat. Der stern hat mit dem Gruppenleiter über die Tortour gesprochen.

Der Reiseveranstalter FTI meldet Insolvenz an – und versetzt damit Tausende Urlauber in einen regelrechten Schockzustand. Der lang ersehnte Sommerurlaub ist damit bei vielen Familien gestrichen. Reisen, die nicht von anderen Veranstaltern übernommen werden, entfallen ersatzlos – was mit dem bereits gezahlten Geld passiert, ist derzeit unklar. Richtig hart trifft die Pleite allerdings jene Urlauber, die bereits mit FTI unterwegs waren, als die Entscheidung verkündet wurde. Obwohl die offizielle Regelung vorsieht, dass die Reisen anständig beendet werden, liest man von dramatischen Ereignissen: Hotels sperren ihre Gäste von heute auf morgen aus, verlangen Unsummen oder verweigern die Anreise. Ein Szenario, das auch Reiseleiter Matthias Suraj erleben musste. Hier erzählt er seine Geschichte.

Wir sind Montagmorgen um vier Uhr mit 22 Leuten aufgebrochen. Geplant war eine Woche All-inclusive-Urlaub in einem 4-Sterne-Hotel in der türkischen Touristenhochburg Lara. Bei der Abreise war alles völlig normal, wir haben weder vom Reisebüro noch vom Reiseveranstalter FTI eine Nachricht bekommen, dass irgendwas mit der geplanten Reise problematisch werden könnte. Im Gegenteil: In der Türkei angekommen war ich total dankbar dafür, dass die Anreise so reibungslos ablief.

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Ich hatte mir im Vorfeld Sorgen gemacht, ob alle ihren Ausweis dabei haben, die Koffer richtig gepackt sind und dass keiner verschläft. Dazu muss man wissen: Wir waren mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung unterwegs und es kann immer etwas schiefgehen. Aber es lief zunächst alles ganz normal ab: Am Flughafen in Antalya gab es einen FTI Meeting Point, an dem uns ein Mitarbeiter zu unserem Reisebus geschickt hat. Der Bus hat uns dann vor dem Hotel abgesetzt. Unsere Unterkunft war eine der vielen Hotelburgen, die es in Lara gibt und fast so groß wie ein eigener Neubau-Stadtteil.

FTI-Pleite: Hotelübernachtungen nicht gezahlt

Noch bevor wir die Hotellobby betreten konnten, haben uns Angestellte des Hotels unser Gepäck abgenommen. Die Vorfreude auf die erholsame Woche war groß. Beim Check-in an der Rezeption wendete sich das Blatt. Eine junge Frau kam auf uns Betreuer zu und fragte, ob wir Englisch sprechen. Als ich die Frage bejahte, sagte sie, es gebe ein Problem, weil der Reiseveranstalter die Unterkunft noch nicht gezahlt hätte. Dass Reiseveranstalter Unterkünfte erst nach der Reise bezahlen, ist eigentlich eine gängige Praxis, aber sie wusste zu dem Zeitpunkt bereits von der FTI-Insolvenz und hat uns deshalb aufgefordert, den Preis für die sieben Nächte vor Ort zu zahlen. Wir wussten hingegen nicht, dass FTI Insolvenz beantragt hatte — die Pressekonferenz fand statt, als wir bereits im Flieger in die Türkei saßen.

Da standen wir also, völlig überfordert und planlos mit einer Rechnung von circa 12.000 Euro oder der Aussicht, die Nacht auf den Straßen der Türkei zu verbringen. Da wir All-inclusive gebucht haben, hatten wir nicht annähernd genug Bargeld dabei, um die geforderte Summe aufzubringen. Also habe ich versucht, wenigstens eine Nacht im Hotel auf Eigenkosten auszuhandeln – wir waren schließlich alle müde von der Anreise und manche unserer Mitreisenden brauchten Medikamente oder besondere Ruhe. Die Hotelangestellten hatten offenbar keinen Verhandlungsspielraum vom Management bekommen. Also hieß es: entweder wir zahlen sieben Nächte oder wir müssen abreisen. Ein Schock für mich, zumal es auch in den Berichten über die FTI-Insolvenz hieß: "Die bereits angetretenen Reisen können noch stattfinden."

Aber Pustekuchen. Und während wir versuchten, eine Bleibe für die Nacht zu suchen, einige Mitreisende weinten und Angst hatten, liefen quirlige Touristen und entspannte Urlauber um uns herum. Sie hatten offenbar einen anderen Reiseveranstalter gewählt und lagen dem Hotelpersonal deutlich mehr am Herzen als wir. Dabei hatten wir ja keine Schuld daran, dass die Unterkunft nicht gezahlt wurde – wir hatten schließlich an FTI überwiesen. Die Situation war rückblickend äußerst skurril.

Von FTI jedenfalls konnten wir ab diesem Zeitpunkt keinerlei Unterstützung mehr erwarten. Die FTI-Notfall-Hotline in München ließ uns in der Warteschleife hängen. Zum Glück hat die Mitarbeiterin vom Gehlsdorfer Reisebüro, in dem wir die Reise gebucht haben, uns von der Heimat aus tatkräftig unterstützt. Sie war zunächst auch geschockt, wie wir vor Ort behandelt wurden. Dann hat sie aber schnell reagiert – und meinem Verständnis nach mit ihrer privaten Kreditkarte Rückflüge für uns organisiert.

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Reiseveranstalter FTI meldet Insolvenz an: Das gilt jetzt für Verbraucher

Dankbarkeit und Erleichterung

Im Hotel durften wir kulanterweise noch etwas essen – es war die erste Mahlzeit seit Stunden. Danach mussten wir mit Taxis zum Airport zurück und die Nacht dort verbringen. Frühmorgens ging der erste Flieger mit insgesamt 15 Passagieren von uns an Bord in die Luft – wir haben zuerst die Frauen nach Berlin geschickt. Der Rest konnte in einem Flugzeug nach Hamburg untergebracht werden. Am Dienstag um 19 Uhr habe ich die letzten Mitreisenden nach Hause gebracht.

Wäre ich alleine unterwegs gewesen, hätte ich am Strand übernachtet und mir selbst einen Rückflug organisiert oder eine andere Unterkunft gesucht. Als Betreuer für 18 Menschen mit Beeinträchtigungen war die Verantwortung ungleich größer. Aber wir haben das Ganze enorm gut miteinander durchgestanden. Alle haben mitgemacht, sich mit der Situation arrangiert. Und ich hatte sogar das Gefühl, dass sie dankbar waren – dafür, dass wir Betreuer uns jederzeit um sie gekümmert und versucht haben, das Beste draus zu machen. Ich wiederum bin der Dame vom Reisebüro unendlich dankbar, denn ich wüsste nicht, wie es ohne ihre Hilfe abgelaufen wäre.

Unklar ist, wie es jetzt weitergeht. Bis das Versicherungspaket der FTI greift und es Rückzahlungen gibt, wird es vermutlich noch eine ganze Weile dauern. Ich hoffe sehr, dass die Teilnehmer ihr Geld zurückbekommen – manche von ihnen haben ihren restlichen Jahresurlaub für die Türkei-Reise genommen, das gibt ihnen leider niemand wieder. Und dass die Mitarbeiterin im Reisebüro nicht auf ihren Kosten sitzenbleibt. Immerhin haben wir ein kleines Trostpflaster für einige der Türkei-Mitreisenden: übernächste Woche kommen manche von ihnen mit an die Mecklenburgische Seenplatte. Das ist eigentlich eine andere Reise, aber wir konnten spontan noch Bungalows dazubuchen. Das ist zwar nicht die Türkei, aber immerhin eine kleine Erholung von den Strapazen.

aufgezeichnet von Leonie Zimmermann

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